[b][u]Kapitel 5 – Freund und Feind[/u][/b] Copyright 2017 by Simplemind Deprimiert lag Dexter auf dem Bauch vor seinem Bau. Die kleine Lichtung, an der sein Zuhause gelegen war, ließ das Sonnenlicht durch, sodass es ihm nun wohlig warm auf den Rücken schien. Aber auch das vermochte seine Laune nicht zu verbessern. Seit der Demütigung, die der Fuchs über sich ergehen lassen musste, stand ihm der Sinn nach überhaupt nichts mehr. Außer vielleicht der verdammten Maus den Kopf nach hinten zu drehen. Nicht nur, dass er dumm genug war in die Falle der Menschen zu tappen und dass Tod ihn in dieser äußerst peinlichen Lage gesehen und sich auch noch über ihn lustig gemacht hatte – Nein! – dann musste er sich auch noch von ihm helfen lassen und hatte dabei rumgewinselt wie ein Welpe. Wenn das jemals rauskäme, wenn Tod es jemals jemandem erzählen würde, hinge ihm die Schande bis an sein Lebensende nach. Er! von einer Maus gerettet! Allein der Gedanke daran ließ ihn innerlich brodeln und vermieste ihm den ansonsten schönen Tag. Und als ob sein Leiden noch nicht groß genug wäre, tauchte dann auch noch sein jüngerer Freund Marty auf und tapste, übermütig wie eh und je, um ihn herum. „He, Dex! Was is‘ los mit dir? Geht’s dir nicht gut?“ „Hau ab, Marty! Lass mich in Ruhe!“, maulte er seinen Kameraden abweisend an. „Und nenn mich nicht immer Dex.“ Aber Marty wäre kein guter Freund gewesen, wenn er so leicht aufgeben würde. „Na los, Dexter. Was ist mit dir? Hattest du kein Glück auf der Jagd? Jeder hat doch mal ‘nen schlechten Tag.“ Wütend kniff Dexter die Augen zusammen. Jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um ihn mit lästigen Fragen zu löchern. Grummelnd warnte er ihn noch einmal: „Verschwinde!“ Marty kannte seinen älteren Freund Dexter zwar schon eine gewisse Zeit lang, aber so lange, dass er genau sagen könnte, was in dem Fuchs vorging, dann doch nicht. Nachdem Marty von seiner Familie fort gegangen war, fand er hier ein neues Zuhause und in Dexter einen erfahrenen Lehrer und guten Freund. Das Alter, so vermutete Marty, hatte ihn etwas kauzig werden lassen. So blieb Dexter immer schon gern für sich und ließ andere, egal ob Fuchs oder nicht, nur ungerne an sich heran. Über sich selbst oder seine Vergangenheit sprach er nur sehr selten, und wenn, dann ließ er auch zu diesen Zeiten nicht viel über sich durchblicken. Alles was Marty mit absoluter Sicherheit sagen konnte war, dass Dexter ein unheimlich stolzer Fuchs war. Und das auch zu Recht, immerhin würde er bald schon sein siebtes Lebensjahr vollenden. Die meisten Füchse konnten sich glücklich schätzen, wenn sie es schafften zwei, drei oder sogar vier Jahre zu überleben! Aber sein merkwürdiges Wesen störte Marty nicht. Dexter war vielleicht etwas eigensinnig und manchmal etwas schroff in seiner Art, aber er hatte immer gut auf Marty aufgepasst und ihm viele Tricks und Kniffe gezeigt, um im Wald alleine zurechtzukommen. Als Freund schätzte Marty Dexter sehr, und deshalb versuchte er sich auch immer etwas nützlich zu machen, wenn sein Freund mal etwas brauchte. In diesem Falle schien ihm Ablenkung eine gute Idee, also machte er ihm einen Vorschlag: „Was hältst du davon, wenn wir uns ein paar Mäuse fangen, hmm? Das bringt dich bestimmt auf andere Gedanken!“ Die bloße Erwähnung dieser widerlichen Kreaturen ließ Dexter das Fell zu Berge stehen. Wieder sah er diese zu kurz geratene Ratte vor ihm, wie sie ihn auslachte und sich über ihn lustig machte. Wütend bleckte er die Zähne und ein bedrohliches Grummeln vibrierte in seiner Brust. Als Marty die Reaktion auf seine Idee sah, erschien ihm Ablenkung doch nicht die richtige Lösung zu sein. Möglicherweise wäre es das Beste, ihn einfach in Ruhe zu lassen. Immerhin, jeder braucht auch ab und zu mal ein bisschen Zeit für sich alleine. Allerdings glaubte Marty, dass Dexter nicht unbedingt glücklich darüber sein würde, seine nächste Theorie um seine schlechte Laune zu erfahren, also sagte er nur: „Gut! Wenn du nicht mitkommen willst, dann geh ich eben alleine los. Vielleicht hast du ja später mehr Lust auf ein bisschen Spaß?“ Noch einmal suchte er nach einer Regung bei seinem Freund, aber Dexter blieb liegen und blickte weiter finster drein. Dann ging Marty in den Wald. Mürrisch schielte Dexter seinem Freund hinterher. Als er außer Sicht war, rollte er sich seufzend auf die Seite, schloss die Augen und lauschte einen Moment lang dem Vogelgezwitscher. „Er hat’s ja gut gemeint...“, sprach Dexter zu sich selbst. „Aber manchmal ist er genau so dämlich, wie er gutherzig ist!“ Mäuse fangen? Eigentlich keine schlechte Idee. Besonders eine hätte er gerne! Wieder seufzte er vor Schwermut. Wahrscheinlich hatte Tod längst schon allen von seinem peinlichen Vorfall erzählt und ihn im ganzen Wald bloßgestellt. Wenn dem so wäre, müsste Dexter sich aber auch nicht mehr an den Deal halten. Und selbst, wenn die Maus bis jetzt dichtgehalten hatte, sie aufzufressen wäre sicherlich die längerfristige Lösung. Und definitiv die Zufriedenstellenderere! Also nahm Dexter sich zusammen und beschloss, den kleinen Nager ausfindig zu machen und die Sache zu beenden. Und das am besten noch bevor er den Mund aufmacht, wenn es dafür nicht schon zu spät war! Immer noch mürrisch vor sich hin grummelnd, rappelte Dexter sich auf und streckte noch einmal seinen geschmeidigen Körper in der warmen Sonne, die auf seine kleine Lichtung fiel, bevor er sein Fell ausschüttelte und in den schattigen Wald schlenderte. Gezielt nach dem Mäuserich suchend, streifte er durch sein Territorium. Dexter wusste, dass Tods Bau in seinem Revier lag und dass er nie allzu weit von hier fort ging. Er wusste sogar, wo sich sein Bau befand. Unter den mächtigen Wurzeln einer gewaltigen Esche hatte die Maus ein sicheres Zuhause gefunden. Natürlich suchte Dexter auch dort nach Tod. Neugierig steckte er die schwarze Nase zwischen die Wurzeln und schnüffelte, ob die Maus sich in ihrer Höhle verschanzte. Aber dem war nicht so. Er suchte auch die nähere Umgebung ab. Der Geruch der Maus war hier überall, mal stärker, mal schwächer, was es schwierig machte, zu bestimmen, wohin er gegangen war. In der Ferne sah er ein kleines Kaninchen über eine Wiese hoppeln. Gewöhnlich eine willkommene Einladung, um ihn ein bisschen auf Trab zu bringen und vielleicht auch ein leckeres Abendessen zu erwischen, aber heute wollte er nur diese eine Maus haben. Nach einer Weile dann, setzte er sich, neben dem größten Findling einer ganzen Ansammlung solcher, nieder und putzte sich das Fell. Vielleicht war er ja abgehauen? Sicherlich wusste Tod, dass der Fuchs auf ihn Jagd machen würde, Abmachung hin oder her. Nein! Dafür war Tod zu ehrgeizig. Immerhin war er die mieseste, furchtbarste und garstigste kleine Plage, der ein Fuchs – Nein, überhaupt irgendein Tier – jemals über den Weg laufen könnte! Sicher wären selbst die Menschen, mit all ihren listigen Geräten, an ihm verzweifelt. „Na, suchst du jemanden bestimmtes?“, fragte plötzlich eine Stimme neben ihm. Demonstrativ richtete Dexter sich auf und fasste den Störenfried ins Auge. Die Stimme kam ihm gleich so vertraut vor. Auf dem großen Felsbrocken neben ihm, saß Tod, der Quälgeist, der seine Gedanken umtrieb, selenruhig da und lugte ihn mit seinen kleinen, frechen Augen an. Ganz schutzlos hockte er auf dem nackten Stein. Drohend kam Dexter näher heran und zeigte seine Zähne. „Jetzt nicht mehr!“, antwortete er. Tod stellte sich auf seine Hinterbeine und schaute den Fuchs an, der hoch über ihm aufragte und versuchte, ihn mit seinem Blick zu fesseln. Zugegeben, ein wenig mulmig war ihm schon im Bauch und ganz risikofrei war die Aktion auch nicht, aber er blieb standhaft und stellte sich seinem schlimmsten Feind tapfer entgegen. „In dem Falle möchte ich dich noch einmal höflichst an unsere Abmachung erinnern!“, sagte Tod und versuchte dabei entschlossen aber zuvorkommend zu klingen und die Angst aus seiner Stimme fernzuhalten. Gefährlich nahe kam der Fuchs nun mit seiner schwarzen Nase an die Maus heran und fletschte die Zähne. Nur ein schneller Happs und Tod wäre Geschichte! Siegessicher knurrend fragte er die Maus: „Und wer garantiert mir, dass du nicht schon längst geplaudert hast?!“, um sicherzugehen, dass ihr Geheimnis noch eines war. „Ich versichere dir, ich bin eine Maus, die zu ihrem Wort steht!“ „Das mag sein, “ bemerkte Dexter abschätzig, „trotzdem könnte ich dich, hier und jetzt, einfach auffressen. Nur, um ganz sicher zu sein, dass du auch den Rand hältst:“ Vorsichtig tippelte die Maus auf ihren Hinterläufen einen Schritt näher an den Fuchs heran und zwang sich ein schelmisches Grinsen aufs Gesicht. Wenn er wollte, konnte Dexter schon einschüchternd sein. „Das könntest du natürlich tun, aber dann wärst du noch dämlicher, als du aussiehst!“ Ein energisches, böses Knurren war alles, was Dexter als Antwort gab. Tod aber blieb mutig stehen und fuhr fort: „Glaubst du wirklich, ich würde einfach so, weil ein Fuchs mir ein Versprechen gegeben hat, meine Deckung vernachlässigen und mich dir freiwillig ausliefern?!“ Misstrauisch kam Dexter mit seiner Schnauze noch etwas näher ran und schnaubte Tod einen Schwall warme Luft entgegen. „Was hast du jetzt wieder vor, Tod?“, fragte er genervt. „Ich wollte dir, nebst unserer Abmachung, nur noch einen weiteren guten Grund geben, mich nicht zu fressen und, wie vereinbart, in Ruhe zu lassen“, erklärte Tod mit einem Grinsen im Gesicht. „Na, jetzt bin ich aber mal gespannt!“ Langsam ließ sich Tod wieder auf seine Vorderbeine runter, bevor er sich vor dem glotzenden Fuchs aufsetzte, bereit, seinen Trumpf auszuspielen. „Naja sagen wir mal – rein hypothetisch gesprochen – du würdest mich jetzt auffressen...“ „Also bis hierhin gefällt mir dein Plan schon mal gut!“, unterbrach ihn Dexter kichernd. Tod erklärte unbeeindruckt weiter: „...dann würde man mein Fehlen schon sehr bald bemerken.“ „Und weiter?!“, lachte der Fuchs. “Wenn’s dir den Abgang leichter macht, spreche ich ein paar Worte auf der nächsten Versammlung für dich.“ „Naja“, sagte Tod, breit grinsend in der Gewissheit, dass er den Fuchs gleich sicher fürchterlich aufregen würde, „schlau wie ich nun einmal bin, habe ich, im Falle meines plötzlichen Verschwindens, sichergestellt, dass unser kleines Geheimnis nicht länger geheim bleiben wird.“ „Du mieser, kleiner Nager hast geredet!“, schlussfolgerte Dexter wütend. „Nimm’s nicht persönlich, Dex, aber auf das Wort eines Fuchses gebe ich herzlich wenig.“ Vor lauter Zorn stellten sich seine Haare auf, als er die kleine Maus anbellte: „Damit wäre die Abmachung ja wohl sowieso hinfällig, oder?!“ Laut knurrend und fauchend zog er die Lefzen hoch und zeigte seine scharfen Fangzähne, bereit, jederzeit zuzuschlagen. Schnell sprang Tod auf und stellte sich dem Fuchs in den Weg. „Wenn du willst, dass jeder im Wald erfährt, wie eine Maus dein Leben gerettet hat, dann nur zu: Friss mich auf! Aber, wenn es dir lieber wäre, dass die ganze Sache unter uns bleibt, dann schlage ich vor, dass du dich an unsere Abmachung hältst!“ „Mieser Erpresser!“ Die ohnehin schon prekäre Lage, in der Dexter sich befand, wurde nun noch um ein vielfaches problematischer. Laut Tod musste es noch jemand anderes geben, der von dem Zwischenfall weiß. Und wenn Dexter die Maus jetzt auffressen würde, dann würde dieser jemand sein Geheimnis offenlegen. Er müsste also zuerst diesen anderen Jemand finden und ihn zum Schweigen bringen. Andererseits könnte das Tod dazu veranlassen es selbst zu verraten, wenn er ihn nicht schnell genug erwischen könnte. So oder so, er saß in einer Zwickmühle. „Was auch immer!“, sagte Tod. „Halt sich einfach von mir fern, dann haben wir keine Probleme miteinander.“ Und damit machte die kleine Maus kehrt und ließ den Fuchs alleine zurück. Wütend richtete Dexter sich auf und stampfte davon. Immer wieder entkamen ihm wilde Flüche über die Maus und ihre Unverschämtheiten. Den ganzen Weg zurück zu seinem Bau schimpfte und schmollte er und versuchte einen Weg zu finden, Tod und seinen Komplizen zu erwischen, bevor der jeweils andere ihn öffentlich bloßstellen würde. Das ging so weiter, bis etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte. Minka, die graue Katze vom Bauernhof, schlich wieder durch den Wald. Die kam ihm gerade Recht! Jetzt konnte er sich etwas abreagieren. Wütend, schnaubend und schnell wie ein geölter Blitz raste Dexter auf die Katzendame zu, die ihn gerade noch rechtzeitig bemerkte und überstürzt die Flucht ergriff. Wie von Sinnen jagte er das unbeteiligte Haustier durch den Wald. Über Stock und Stein, durch jeden Busch und um jeden Baum herum. Dexter rechnete sich nur wenige Chancen aus, Minka tatsächlich zu erwischen. Die Katze war noch wesentlich jünger als er und außerdem kleiner und leichter, was sie schneller und wendiger machte als den größeren Fuchs. Eigentlich stand ihm auch gar nicht der Geschmack nach Katze, aber er musste jetzt einfach etwas jagen, um Tod zu vergessen. Die Katze des Bauern, der am Waldrand lebte, bot sich schon früher für solche Spielchen an, denn abgesehen davon, dass sie kein Tier des Waldes war, konnte Dexter Katzen auch nicht besonders gut leiden, was Minka Mittlerweil nur zu gut wusste. Schlussendlich schaffte es die flinke Katze, genug Abstand zwischen sich und ihren Verfolger zu bringen, um sich auf einen Baum zu flüchten. Erschöpft und nicht mehr ganz so wütend wie zuvor, sprang Dexter den Stamm an und bellt die Katze an. Minka, die sich auf einem hochgelegenen Ast in Sicherheit gebracht hatte, fauchte böse zu ihm hinunter: „Was fällt dir ein, elender Mistkerl?!“ Noch einmal knurrte Dexter sie an, dann aber drehte er sich um und ging einfach fort. „Verschwinde bloß wieder in dein stinkendes Erdloch, du räudiger Fuchs! Warte nur, bis dich der Jäger schießt!“ Als Dexter endlich wieder bei seinem Bau ankam, wartete dort schon Marty auf ihn. Der jüngere Fuchs hatte Glück auf der Jagd und ein Rebhuhn erlegt. Stolz präsentierte er seinem älteren Kameraden die Beute. Dexter, aber, war immer noch zu sehr damit beschäftigt sich über Tod zu ärgern. Und außerdem, war er müde nach der Katzenjagd. Er bemerkte Martys Erfolg kaum und wollte sich nur noch in seine Höhle zurückziehen. Marty, der nach wie vor von seinem Freund mit einer Laune begrüßt wurde, wie sieben Tage Regenwetter, glaubte, dass Dexter kein Glück auf der Jagd hatte. Das würde auch erklären, warum kein Beutegeruch an ihm haftete. Freudig lächelnd stellte er sich dem älteren Fuchs in den Weg und legte das erbeutet Huhn vor seinen Pfoten ab. „Wenn’s bei dir nicht so gut gelaufen ist, dann teil ich mit dir, Dex!“, sagte er und stupste das leblose Huhn zu ihm rüber. „Hab keinen Hunger!“, brummte Dexter und setzte seinen Weg fort Richtung Bau. Treu schlich Marty ihm nach und fragte: „Was ist los mit dir, Dex? Du bist heute irgendwie schlecht drauf.“ „Lass mich einfach in Ruhe, Marty! Ich bin müde“, murmelte er grimmig, bevor er unter der Erde verschwand. Fragend blickte der Jungfuchs in die dunkle Höhle und versuchte zu ergründen, warum sein Freund solch eine schlechte Laune hatte. Aber jetzt weiter zu bohren würde die Sache wohl nur verschlimmern. „Naja“, sprach Marty laut zu sich selbst, „dann bleibt halt mehr für mich.“