[b][u]Kapitel 3 - Vom Regen in die Traufe[/u][/b] Copyright 2017 by Simplemind Als Dexter vor dem enormen, am Boden liegenden Körper zum Stehen kam, konnte er den Anblick kaum ertragen. Tod, die Maus, - seine Beute! - steckte da zwischen den zahlreichen Windungen der Schlange. Die kleine Waldmaus wirkte, verborgen inmitten des massigen Leibes des rieseigen Tigerpythons, geradezu winzig. Wachsam blieb Dexter auf Abstand. Dicht am Boden hockend spannte er die Muskeln in seinen Läufen an, um jederzeit reagieren zu können, denn, wenn die Schlange ihn erwischen würde, sähe es übel für ihn aus. Die meisten Tiere im Wald waren der Meinung, dass der Python, wenn er es denn nur wollte, leicht mit Hektor fertig werden würde und seinen Platz als stärkstes Tier des Waldes einnehmen könnte. Hektors Geweih mochte zwar eine ernstzunehmende Waffe sein, und der Hirsch war schnell und kraftvoller noch als alle anderen Böcke seiner Herde, aber wenn ihn die geballte Kraft dieses Schlangenkörpers erst einmal im Griff hätte, gäbe es auch für ihn kein Entkommen mehr. Gift besaß der Python zwar keines, aber mit einem solch tödlichen Körper war das wohl auch nicht notwendig. Zu Hektors Gunsten, und wohl auch zu den aller anderen Waldtiere, hegte die Schlange allerdings keine derartigen Ambitionen. Zu Dexters Ungunsten dagegen, verhielt es sich so, dass die Schlange sehr wohl aber ein gewisses Interesse an kleinen Nagern besaß. Was ebenfalls nicht gerade für Dexters Situation sprach, waren die Gerüchte über den Tigerpython, nach denen das hungrige Monstrum immer wieder mal einen anderen Waldbewohner frisst. Mal ‘nur‘ ein Kaninchen, dann ein Rehkitz und sogar ganze Wildschweine soll er verschlingen. Man sagt, er habe sogar schon den einen oder anderen Fuchs erwischt. Dexter glaubte nicht wirklich daran, andererseits hatte er aber auch nicht gerade das Verlangen danach, die Wahrheit als erster herauszufinden. Wütend knurrte der Rotfuchs den zusammengerollten Tigerpython an: „Rück die Maus raus, Schlange!“ Gänzlich unbeeindruckt wand sich das Reptil im Laub und schlängelte sich um seinen eigenen Körper. „Verschwinde wieder, Rotpelz! Ich war gerade dabei mich zu sonnen.“ Argwöhnisch behielt Dexter den Kopf der Schlange im Auge, der sich schützend hinter dem Rest des Körpers versteckte. „Gib mir die Maus! Dann stör ich dich nicht weiter und verschwinde wieder“, wiederholte er seine Forderung, diesmal nur etwas diplomatischer formuliert. „Stör mich nicht weiter und ich lasse dich vielleicht verschwinden!“ Wütend machte Dexter ein paar Schritte hin und her. Er wusste, dass die Schlange Tod nicht selbst fressen würde, also würde er noch eine Chance bekommen den kleinen Pimpf zu erwischen, dennoch viel es ihm schwer zu verkraften, dass Tod ihm wieder einmal entwischt sein sollte. Der Python, obgleich er die Maus bereits in seiner Gewalt hatte, beabsichtigte sie aus einem ganz bestimmten Grunde nicht zu fressen. Denn es gab eine Abmachung zwischen der Schlange und den vielen Nagern des Waldes: Er versprach die Nager nicht zu fressen, und im Gegenzug dafür verrieten die kleinen und findigen Mäuse, Ratten, Marder und Wiesel ihm, wo er leicht an ein paar Eier herankommen konnte. Der Python liebte Eier und, abgesehen davon, wäre eine Maus oder eine Ratte ohnehin nichts weiter als ein Appetithäppchen für das riesige Tier - Kaum der Mühe wert. Natürlich war diese Abmachung ein Bruch mit den Gesetzen des Waldes, aber wer wollte es der Schlange schon verbieten? Diesem Monster, das selbst einen unzähmbaren Eber zermalmen konnte?! Und darüber hinaus war er nur EINE Schlange. Irgendwo in einem anderen Teil der Welt gefangen, wurde er hierher gebracht und als Haustier von den Menschen gehalten. Bis er ihnen zu groß wurde, jedenfalls. Dann, nämlich, setzte man ihn einfach hier im Wald aus. Da sich die Schlange hier alleine nicht fortpflanzen konnte, und somit nicht die Gefahr bestand, dass das Gleichgewicht des Waldes massiv gestört wurde, ließ man die Schlange gewähren, ohne sie formell zu verbannen. Aus dieser Abmachung heraus ergab sich dann manchmal eine Situation wie diese, in der es einem Nager gelang, sich bei der Schlange zu verstecken. Natürlich wäre niemand dumm genug den Python wegen einer winzigen Maus anzugreifen und sein Leben aufs Spiel zu setzten, also zog Dexter sich zurück. Wenn Dexter, wie die Menschen, erröten könnte, stünde sein ohnehin schon roter Pelz jetzt sicher vor Wut in Flammen. Wieder konnte ihm dieser Mickerling entwischen und wieder blieb ihm nichts anders übrig als den Rückzug anzutreten. „Irgendwann werd ich dich schon noch erwischen, Tod, verlass dich drauf!“, schnaubte er dem Mäuserich entgegen, der sich immer noch geschützt zwischen den Windungen der Schlange befand. „Und dann wird dir kein noch so tiefes Loch und kein noch so großer Regenwurm mehr helfen können!“ Dann verschwand der Fuchs wieder im Wald. Als der Störenfried außer Sichtweite war, entwirrte sich der zum Schutze verknotete Körper der Schlange langsam zu einer Spiralform, in deren Mitte Tod vom Schwanzende des Pythons festgehalten wurde. Bedächtig und grazil bewegte sich der schlanke Kopf über die Rundungen und beobachtete die Maus mit seinen kalten Augen und den feinen Sinnen seiner hervorzischelnden Zunge. „Man, Bao!“, sprach Tod, der von der Präsenz der Schlange zwar etwas eingeschüchtert war, sich aber nichts anmerken ließ. „Du hast mich ganz schön erschreckt. Ich dachte schon, jetzt wäre es aus mit mir.“ Nun endete die kreisende Bewegung des Kopfes und er sank nieder, um auf dem Rest des braungelb gemusterten Körpers zu ruhen. „Was soll ich denn erst sagen?“, klagte Bao. „Immer stört ihr kleinen Quälgeister mich bei meinem Sonnenbad, und immer bringt ihr so unfreundlichen Besuch mit.“ „Du machst doch fast den ganzen Tag nichts anderes als dich zu sonnen. Wie soll man dich da bei was anderem stören?“ Plötzlich blieb Tod die Luft weg, als der kräftige Schwanz des Tigerpython begann seinen Körper zu würgen. „Jetzt werd nicht frech, Maus!“, ermahnte Bao ihm mit einem weiteren bedrohlichen Zischeln mit der Zunge. „Schon gut, schon gut!“, versuchte Tod ihn zu beschwichtigen, während er probierte sich aus Baos Griff zu befreien. „Danke jedenfalls für die Hilfe.“ Aber noch ließ die Schlange ihn nicht los. Mit eiserner Gewalt hinderte Bao Tod daran zu entkommen. Dann rückte der schuppige Kopf mit seiner gespaltenen Zunge der Maus gefährlich nahe zu Leibe, bevor die Schlange fragte: „Hast du vielleicht noch was für mich?“ Tod wusste genau, dass Bao eine Gegenleistung für den Schutz vor Dexter verlangte. In Situationen wie dieser, war es üblich, dem Python ein Ei zu bringen oder ihn zu einem Nest zu führen, um ihm für seine ’Mühen‘ zu danken. Nur standen Eier leider nicht unbedingt ganz oben auf Tods Speisekarte, und so hatte er im Moment keine Ahnung, wo er eines hernehmen sollte. „Ich bring dir schon noch ein Ei, Bao“, versprach Tod. „Ich muss nur erst mal eins finden.“ Noch immer ließ er nicht locker und schob seinen Kopf noch dichter an Tod heran. Gerissen, wie nur eine Schlange sein konnte, wählte Bao seine nächsten Worte genau. „Ach komm...“, murmelte er mit einem angsteinflößenden Grinsen auf seinem glatten Gesicht. „So eine schlaue, kleine Maus wie du, weiß doch sicher, wo so ein großer, hungriger Python wie ich, ein Ei herbekommt?“ Wieder ließ er die Zunge aus seinem Maul blitzen, und diesmal berührte sie fast Tods Nase. "Oder soll ich einfach dich fressen?“ Mühsam schluckte Tod einen Kloß herunter, der, dank des unnachgiebigen Würgegriffes der Schlange, trotzdem in seiner Brust hängen blieb. „Nun sei doch nicht so, Bao!“, mahnte er behutsam. „Ich sage doch, dass ich dir ein Ei bringen werde. Ich such dir auch ein besonders großes aus. Versprochen! Außerdem schmecke ich ganz furchtbar!“ Dann, endlich, ließ der Python Tod herab und sein Schwanz löste sich wie eine Fessel von dem zarten Körper des Nagers. „Versuch nicht, mich zum Narren zu halten, kleine Maus!“, drohte er noch. „Sonst ist der Fuchs bald dein geringstes Problem!“ Endlich befreit, stand Tod nun wieder auf seinen eigenen Pfoten und streckte seinen gequetschten Körper. „Danke, Bao. Ich wusste, dass man mit dir reden kann.“ Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, entrollte Bao seinen Körper vollständig und glitt ein Stück durch das Laub, bis er an einer sonnigen Stelle inne hielt und regungslos liegen blieb. Um nicht noch einem ungebetenen Jäger über den Weg zu laufen, machte Tod sich schleunigst auf zurück zu seinem Bau. Mit etwas Glück ist Dexter für heute der Appetit vergangen und er lauert ihm nicht noch irgendwo auf, dachte er. Aber davon abgesehen hatte er jetzt noch ein weiteres Problem: Irgendwie musste es ihm gelingen ein Ei für den Python aufzutreiben.